Seite 1 - Mainzer Neustadt-Anzeiger

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Nicht ins Heim und nicht allein
Erkundungen im „Haus der guten Pflege“ in der Lessingstraße 12

(sl) Immer, wenn ich am Schild „Pflegestützpunkt“ vorbeigegangen bin, habe ich gedacht, dass es doch mal ein interessantes Thema für den Neustadt-Anzeiger wäre, wenn wir über „24-Stunden-Pflege im Pflegestützpunkt“ schrei ben würden. Gesagt, getan! Galina Leonow, die Pflegeberaterin im Pflegestützpunkt, empfängt mich freundlich und klärt mich auch gleich auf: „Beim Pflegestützpunkt wird niemand gepflegt. Das verwechseln die Leute oft. Sie haben schon versucht, Rollstühle hier abzugeben, aber wir sind nur eine Beratungsstelle!“ Auch gut, denke ich und nutze die Gelegenheit zum Interview mit Frau Leonow, denn:

Irgendwann ‒ ist mit Pflege jeder dran!
Deswegen sollten einem die wichtigsten Informationen darüber bekannt sein, bevor man pflegebedürftig wird. Und dieses Wissen zu ver mitteln, ist genau der Job von Galina Leonow. Wie wird die Pflege zu Hause organisiert? Welche ambulanten Hilfen gibt es dabei? Wie kann man bei Demenz helfen? Wie bekommt man einen Pflegegrad? Welche Gelder stehen einem zu, und wo muss man sie beantragen? Welches Heim ist das Beste für mich? Mein Rollstuhl geht nicht ins Bad, was kann ich tun?



Diese und viele andere Fragen bewegen die Pflegebedürftigen, aber auch ihre Angehörigen, die mit ihnen unter einem Dach leben oder den richtigen Heimplatz für sie finden müssen. Galina Leonow, die in Kasachstan geboren ist und seit 25 Jahren mit ihrer Familie in Mainz lebt, kann auf alle Fragen antworten. Das geht telefonisch, im persönlichen Gespräch im Büro in der Lessingstraße, aber auch bei Hausbesuchen. „Es ist oft nötig, zu den Ratsuchenden nach Hause zu gehen, dann versteht man die Pflegesituation am besten“, sagt Galina Leonow. Sie arbeitet übrigens auch mit der Gemeindeschwester Plus Petra Studt und den Sozialdiensten von Krankenhäusern und Heimen zusammen. Sie hilft beim Ausfüllen von Formularen, telefoniert mit Ämtern und vermittelt Hilfen rund um die Pflege

Sechs Pflegestützpunkte allein in Mainz
Neben der Beratungsstelle in der Neustadt, die auch für Ebersheim zuständig ist, gibt es noch fünf weitere in Mainz: in der Altstadt, in Bretzenheim, Hartenberg-Münchfeld, Mombach und Weisenau. Jeder Pflegestützpunkt ist für zwei bis drei Ortsteile zuständig. In ganz Rheinland-Pfalz gibt es 135 davon, deren Finanzierung von den Pflegekassen, vom Land Rheinland-Pfalz und von den Trägern der Pflegestützpunkte getragen wird. Natürlich kann man Galina Leonow auch nach Pflegeheimen fragen, aber als Beraterin muss sie neutral bleiben und darf keine Werbung machen, auch nicht für die zwei Wohngemeinschaften im zweiten und dritten Stock im selben Gebäude, das ich hier „Haus der guten Pflege“ nennen möchte.

Waldi“ darf bei Frauchen bleiben – bis zum Schluss
Für mein nächstes Interview muss ich einfach nur zwei Stockwerke höher laufen. Dort erwartet mich Katja Wentz, die Mitgründerin und Leiterin von insgesamt fünf Senioren-Wohngemeinschaften, drei in der Neustadt und zwei in Weisenau. Sie heißen alle „Activ für Senioren“ und funktionieren nach demselben Prinzip: „So viel Eigenständigkeit wie möglich – so viel Hilfe wie nötig“. Und so sieht das in der Praxis aus: Jeder hat sein eigenes Zimmer mit Fernseher und den Möbeln von zu Haus. Alle Bewohner haben ihre eigenen Schlüssel und können – wenn die Gesundheit es erlaubt –  das Haus allein verlassen oder Besucher empfangen. Das ganz Besondere am Wohnkonzept ist jedoch, dass jeder sein geliebtes Haustier von zu Hause mitbringen und im eigenen Zimmer halten darf, immer vorausgesetzt, dass die Mitbewohner nichts dagegen haben. Meist ist es zwar nur der Wellensittich, aber auch er leistet vertraute Gesellschaft. Es ist vorgesehen, dass jeder Bewohner und jede Bewohnerin bis zum Lebensende in der Wohngemeinschaft bleiben kann. Auch Schwerstpflegebedürftige sollen nach Möglichkeit nicht mehr umziehen müssen.

Eine Wohngemeinschaft hat in der Regel acht bis zwölf Mitglieder und etwa genauso viel Personal (Präsenzkräfte), das im Schichtdienst arbeitet, um die Rund-um-die-Uhr-Betreuung sicherzustellen. Die medizinische Pflege wird von Pflegefachkräften des ambulanten Pflegedienstes geleistet und richtet sich nach dem jeweiligen Pflegegrad. Interessant ist hier auch, dass die Mitglieder einer Wohngemeinschaft in regelmäßigen Beiratssitzungen entscheiden können, ob sie mit ihrem Pflegedienst einverstanden sind oder nicht.

Pflege wie zu Hause – nur besser
Es fängt schon damit an, dass morgens jeder so lange schlafen kann, wie er will, denn das Frühstück läuft nicht weg und der Kaffee kommt immer frisch aus der Maschine. Beim Speiseplan kann man mitbestimmen, und wer Lust und Kraft dazu hat, hilft beim Kochen und auch sonst im Haushalt. Bald ist Mittag, da werden hier am Tisch Kartoffeln geschält und Gemüse geputzt. An der langen Tafel in der Wohnküche ist für alle Platz. Eine Bewohnerin hat sich eine Narrenkappe gebastelt und probiert sie auf, eine andere Frau liest Zeitung und trinkt dabei schon die dritte Tasse Cappuccino. Wer Lust auf Fernsehen hat, setzt sich in die Wohnzimmerecke vor den großen Bildschirm, und wer in Ruhe puzzeln oder telefonieren möchte, geht einfach in sein Zimmer – eben alles wie zu Hause – nur besser, denn man ist nicht allein.

Mindestens ein oder zwei Präsenzkräfte sind immer anwesend und damit Ansprechpartner für alle und alles. Sie kaufen ein, kochen das Essen, sorgen für die Freizeitgestaltung, arbeiten zusammen mit den Bewohnern im Haushalt, kurzum, sie sind die „Mädchen für alles“ und vertraute Bezugspersonen, die man so nötig zu Hause gebraucht hätte, aber eben nie hatte!  

Ein Heim haben heißt nicht, im Heim zu sein
So eine auf den Bewohner zugeschnittene Pflege kostet natürlich Geld. Die gute Nachricht: Trotz der individuellen Betreuung und der Pflege bis zum Lebensende ist der Eigenanteil der Kosten nicht höher als in städtischen, kirchlichen oder sonstigen Heimen. Die schlechte Nachricht: Der durchschnittliche Eigenanteil für ein Leben in einer der „Activ für Senioren“­Wohngemeinschaften beträgt rund 2.600 Euro im Monat für Haushaltsgeld, Miete und Rund-um-die-Uhr-Betreuung. Dennoch: Die Warte listen für die fünf Wohngruppen sind lang, denn Katja Wentz hat gezeigt, wie man Menschen ein Heim geben kann, ohne im Heim zu sein.

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