Seite 7 - Mainzer Neustadt-Anzeiger

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Liebe für die Hip Hop-Community
Mainzer Neustadt als Subkultur-Kreativschmiede



(lb) Die Neustädter:innen Sarah und Hyasu verbindet ihr Musikgeschmack: Sie sind große Hip Hop-Fans. „Hip Hop ist mehr als nur Musik“, wissen die beiden. „Allerdings ist unser Fokus die Musik, beziehungsweise Live Musik. Es gibt wenige bis keine Räume hier in Mainz, in denen Hip Hop gerade als Subkultur gelebt oder Underground-Musik live gespielt wird. Und es gibt auch so gut wie keine Safe Spaces dafür“, finden die zwei. Um das zu ändern, riefen sie letztes Jahr die Veranstaltung „Sounds im Keller“ (SIK) ins Leben.

„Wir haben festgestellt, dass uns so eine Veranstaltung in Mainz einfach fehlt und dass wir uns gut ergänzen, wenn wir zusammenarbeiten. Also haben wir einfach mal gemacht“, erzählt Sarah. Mit dem Red Cat haben sie ziemlich schnell eine passende Location gefunden. Der stadtbekannte Club am Schillerplatz ist einer der wenigen Orte in Mainz, die man ganz klar mit Hip Hop in Verbindung bringen kann. Früher fanden dort Live-Konzerte und Rap-Battles statt, auch heute gibt es dort noch regelmäßig Hip Hop-Partys – und seit Juli 2023 „Sounds im Keller“.

Neue Bühne für lokale Artists
„Mit SIK wollen wir zeigen, dass Hip Hop Spaß macht und dass Botschaften hinter der Musik stecken, die viele Leute wahrscheinlich gut finden würden, wenn sie sich mal darauf einlassen würden“, erklären die beiden, „Wir wollen unsere Liebe für Hip Hop an die Community weitergeben und einen Raum für Künstler:innen aus der Region schaffen. Wir machen das nebenbei, wir verdienen damit kein Geld. Es geht uns wirklich um die Community und neben den Performer:innen sollen sowohl Hip Hop-Fans als auch Menschen, die sich das einfach nur mal anschauen wollen, dafür einen sicheren Ort haben.“ Deshalb wird auf ihren Veranstaltungen auch keine Form von Diskriminierung oder Belästigung geduldet. „Hip Hop hat viele Facetten, er ist oft derbe und ehrlich, er kommt von der Straße,“ erläutert Hyasu. „Es gibt eigentlich keine Grenzen dafür, was man sagt, aber es kommt darauf an, wie es gesagt wird. Deshalb haben wir uns auch gegen ein Open-Mic-Konzept [eine offene Bühne, bei der jede:r auftreten kann, wer möchte, Anm. d. Red.] entschieden, sondern laden Musiker:innen ein, um einen Einfluss darauf zu haben, was für einen Raum wir kreieren und um diskriminierenden Texten oder Beleidigungen vorzubeugen. Aber immer komplett rausnehmen kann man es nicht.“ Sarah ergänzt: „Es gibt aber genauso derben, ehrlichen Hip Hop, der trotzdem nicht diskriminierend sein muss. Er kann gesellschaftskritisch sein oder er erzählt Geschichten. Und genau das wollen wir bei SIK.“

Den Nerv getroffen
Insgesamt fünf Mal fand „Sounds im Keller“ schon statt, die nächste Veranstaltung steht im Mai an. Und die Resonanz ist absolut positiv: „Ich glaube, wir haben da einen Punkt getroffen. Die Veranstaltungen waren alle gut besucht. Sowohl Künstler:innen als auch Gäste haben uns gespiegelt, dass so eine Veranstaltung gefehlt hat und es an der Zeit dafür war. Außerdem ist uns aufgefallen, dass nach unseren ersten beiden Veranstaltungen plötzlich wei tere Clubs in Mainz ähnliche Sachen gemacht haben. Aber das finde ich cool, das bestätigt ja nur, dass es da vorher eine Lücke gab“, so Sarah.

Talentierte, lokale Rapper:innen und Sänger:innen aus der Region finden bei „Sounds im Keller“ Platz. Das gesamte Rhein-Main-Gebiet ist voll von ihnen. Und die Mainzer Neustadt zeigt sich als Standort von jungen, kreativen Köpfen, auch für die Subkultur Hip Hop. Neben den SIK-Veranstalter:innen Sarah und Hyasu stammt auch das Musiker-Produzenten-Kollektiv „SDSK“ (special days, special kids) aus der Neustadt. Einige der dazu gehörigen Künstler standen schon mehrmals auf der „Sounds im Keller“­Bühne: DJ John Gelato, auch als Produzent Popadiclo bekannt, sowie Rapper und Produzent Ozelot und die Rapper Ram und Oro. SDSK schreiben und produzieren ihre Musik in der Neustadt.

  

Goethe und die Belagerung von Mainz

(sk) Die Goethestraße in der Neustadt erhielt ihren Namen 1899 anlässlich des 150. Geburtstages des Namensgebers. Wer Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) war, brauchen wir den Leserinnen und Lesern des Neustadt-Anzeigers vermutlich nicht zu erklären. Einer der wichtigsten und bedeutendsten deutschen Köpfe, aus dessen Feder Werke wie „Faust“, „Die Leiden des jungen Werther“, „Götz von Berlichingen“ oder der „Zauberlehrling“ stammen, war nicht nur Dichter sondern auch Diplomat, Minister, Jurist und Naturforscher.  

Weniger bekannt dürfte vielleicht sein, dass Goethe während der Belagerung von Mainz (14. April bis 23. Juli 1793) auch als „Kriegsberichterstatter“ fungierte. Mainz war 1792 infolge der Französischen Revolution und der daraus resultierenden Kriege Frankreichs gegen die europäischen Monarchien durch fran zösische Truppen besetzt worden. Um die rheinhessische Festungsstadt wieder aus französischer Besatzung zu befreien, belagerten Koalitionstruppen unter Führung Preußens und Österreichs die Stadt am Rhein.  

Grade das worauf alles ankommt darf man nicht sagen“
Goethe, der bereits in Weimar lebte, begleitete seinen Jugendfreund und Landesvater, den Her zog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach, auf dem Feldzug. Der Herzog hatte ihn beauftragt, über das Geschehen rund um Mainz zu berichten. Allerdings fühlte sich der Dichter oftmals in seiner Freiheit als Berichterstatter eingeschränkt. In einem Brief an seinen Freund Friedrich Heinrich Jacobi beklagte er sich: „alles was man weiß und grade das worauf alles ankommt darf man nicht sagen und da bleibts immer eine Art Advocaten Arbeit die sehr gut bezahlt werden müßte wenn man sie mit einigem Humor unternehmen sollte.“  

Fast 30 Jahre später schrieb Goethe die Ereig nisse dann in Form eines fiktiven Tagebuchs auf. „Belagerung von Mainz“ erschien 1822 und ist auch heute noch über den Buchhandel zu beziehen.  

Die Kampfhandlungen rund um Mainz entwickelten sich zu einem europäischen Medienereignis. Der Hochadel traf sich hinter der Front, um von sicherer Entfernung aus das Geschehen zu verfolgen und Bürger der Region machten Sonntagsausflüge, um die brennende Stadt zu sehen. Goethe schrieb spöttisch: „Nun war es sonntags und feiertags lustig anzusehen, wenn die große Menge geputzter Bauersleute, oft noch mit Gebetbuch und Rosenkranz, aus der Kirche kommend die Schanze füllten, sich umsahen, schwatzten und schäkerten (...)“

Ende der Belagerung von Mainz
Als die Verstärkung für die eingekesselten
Fran zosen ausblieb, nahmen sie mit den Koalitionstruppen Verhandlungen über einen Waffen stillstand auf. Sie durften aus Mainz abziehen, verbunden mit dem Versprechen, die Koalitionsarmeen für ein Jahr nicht anzugreifen.

Goethe schilderte den Abzug: „Indessen war das Volk sehr bewegt, Schimpfreden wurden ausgestoßen, von Drohungen heftig begleitet. Die Weiber tadelten an den Männern, dass man diese Nichtswürdigen so vorbeilasse, die in ihrem Bündelchen gewiss manches von Hab und Gut eines echten Mainzer Bürgers mit sich schleppten, und nur der ernste Schritt des Militärs, die Ordnung durch nebenhergehende Offiziere erhalten, hinderte einen Ausbruch; die leidenschaftliche Bewegung war furchtbar.“

Die Verluste unter der Zivilbevölkerung waren während der Belagerung sehr gering. Allerdings hatte das Bombardement die Stadt schwer beschädigt. Die Kriegshandlungen hatten unter anderem das Lustschloss Favorite, den kurfürstliche Marstall (heutiges Landesmuseum), die Dominikanerkirche und die Dom propstei komplett zerstört, in großen Teilen auch den Mainzer Dom. Goethe schrieb bestürzt: „In Schutt und Trümmer war zusammengestürzt, was Jahrhunderten aufzubauen gelang, wo in der schönsten Lage der Welt Reichtümer von Provinzen zusammenflossen und Religion das, was ihre Diener besaßen, zu befestigen und zu vermehren trachtete. Die Verwirrung, die den Geist ergriff, war höchst schmerzlich, viel trauriger, als wäre man in eine durch Zufall eingeäscherte Stadt geraten.“

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